Antwort von Lama Ole Nydahl:
Es ist richtig, dass Beziehungsprobleme häufig sind, und die Scheidungsziffern sind hoch. Die Gründe dafür sind vielfältig. Früher gab es noch keine staatliche Sozialhilfe, deshalb war man auf die Großfamilie angewiesen und musste zusammenhalten. Für Frauen gab es keine Berufsausbildung, und oft war ihnen nicht gestattet, eigenes Vermögen zu besitzen. Eine Frau ohne Familie konnte deshalb nicht alleine leben, und so blieben Menschen zusammen, die sich hassten. Heute springt der Staat ein, die Freiheit ist dadurch größer geworden und die Leute sind nicht mehr wirtschaftlich voneinander abhängig.
Auf der anderen Seite bringt die gewonnene Freiheit auch Nachteile. Wechselt man den Partner, so erlebt man mit dem Neuen meist die selben Schwierigkeiten wie mit dem Vorherigen, denn es sind nur die eigenen Störungen, die jedes Mal hochkommen. Es wäre besser, die Schwierigkeiten gleich beim ersten Mal aufzulösen.
Zudem ist das Verbrauchsdenken heute sehr verbreitet. Autos und Kleider z.B. werden ganz bewusst so gemacht, dass sie schnell aus der Mode kommen und man spätestens in ein paar Jahren etwas anderes haben will. Auch sind die hergestellten Dinge nicht mehr so lange haltbar wie früher, sie gehen schneller kaputt. Und wenn Dinge leicht auszutauschen sind, dann liegt es, denke ich, auch näher, Menschen und Partner oft auszutauschen.
Eine wirkliche Schwäche in den heutigen Beziehungen ist die Erwartungshaltung dem Partner gegenüber und die Einstellung: ,,Was kann ich bekommen?“. Es ist besser zu denken: ,,Was kann ich geben?“. Der Raum ist endlos, und wer immer gibt, der wird immer reicher. Holt man ständig Wasser aus einem Brunnen, so ist das Wasser immer frisch. Wer nimmt und bewahrt, der wird immer ärmer. Schaut der in seinen Brunnen, dann liegen da fünf tote Frösche und sonst nichts. Wenn Ihr sagt, ich muss immer geben, dann sage ich, seid froh, gebt mehr, zeigt Eure Größe, seid unbegrenzt und erwartet nicht irgendetwas zurück. Denn es geht nur darum, spontan und mühelos zu sein. Erleuchtung ist nichts anderes, als aufzuhören, etwas zu hoffen, zu fürchten und zu wollen.
In dem Augenblick, wo der Geist spontan und mühelos ist und ohne jegliche Erwartung und Befürchtung in sich ruht, dann zeigt sich alles. Das ist wie bei einer Tasse Kaffee, in der zunächst alles trüb erscheint; aber wenn die Tasse nicht mehr geschüttelt wird, kann man bis auf den Grund sehen. Der folgende Vergleich bedient ein Klischee – die Damen mögen mir verzeihen -, aber man vergisst ihn deshalb auch nicht: Will man erleuchtet werden, so ist das, als wolle man eine schöne Frau kennen lernen. Läuft man ihr nach, holt sie die Polizei, aber parkt man seinen BMW vor ihrer Tür und legt ein dickes Scheckheft auf das Autodach, dann kommt sie von selber. Und so ist es auch mit der Erleuchtung: läuft man ihr nach, kriegt man sie nicht, aber entspannt man sich im Hier und Jetzt, dann kommen die Sachen von selber.