Antwort von Lama Ole Nydahl:
Störgefühle wie Anhaftung entstehen ursprünglich aus Verwirrung. Nur drei Gefühle entstehen nicht aus Verwirrung und sind absolut: Furchtlosigkeit, Freude und Liebe.
Furchtlosigkeit entsteht, wenn der Geist seine Raumnatur erkennt. Wenn er entdeckt, dass er kein Ding ist, sondern unzerstörbar wie der Raum. Freude entsteht, wenn der Geist seine Klarheitsnatur erkennt. Wenn er auf der Basis der Furchtlosigkeit sein freies Spiel erkennt, seine Möglichkeiten und seinen Reichtum, dann wird man froh und glücklich. Liebe entsteht, wenn der Geist seine Unbegrenztheit erkennt.
Wenn man sieht, dass die Natur des Geistes Raum-Klarheit-Unbegrenztheit ist, und dass alle Wesen so sind wie wir, dass sie Glück haben und Leid vermeiden wollen, dann stellt man fest, dass man das eigene Gefühl nicht von den anderen trennen kann. Dann kann man gar nicht anders als liebevoll werden.
Diese Gefühle haben nur die wahre Natur des Geistes als Ursache, deshalb sind sie wirklich dauerhaft.
Bei normalen Leuten ist der Geist wie ein Auge, es schaut nach außen, aber es sieht sich selber nicht. Wir können alle Erscheinungen im Raum abmessen und beschreiben, aber die Frage, welche Größe, Länge, Breite, Farbe, Form oder Geschmack der Geist hat, kann niemand beantworten. Wir wissen alles über die äußere Welt, aber nichts über den Erleber. Das ist schlecht, denn die äußeren Bilder ändern sich ständig, aber der Geist bleibt stets derselbe.
Aus dieser Unfähigkeit des Geistes, sich selber zu sehen, entstehen zwei grundlegende Gefühle. Das eine ist Anhaftung bzw. Begierde. Man denkt, man sei weniger als die Ganzheit aller Dinge, und wünscht sich etwas, von dem man glaubt, man hätte es nicht. Das andere ist Widerwillen, man denkt, die anderen da draußen mag man nicht, die sind gefährlich.
Viele Leute verwechseln Begierde mit Potenz und glauben, keine Begierde zu haben bedeute impotent zu sein. Hier kommt die Sprache durcheinander und deshalb wollen viele Leute nicht meditieren. Darum benutzen wir den Begriff Anhaftung.
Wenn man sich das Prinzip von Liebe und Anhaftung anschaut, kann man deutlich zwei Felder voneinander unterscheiden. Das eine hat nur positive Seiten, das ist die gebende Liebe. Sie zeigt sich darin, dass man sich miteinander auf direkter Ebene austauscht, oder dass man mitfühlend ist, dass man teilt, was man hat. Oder man hat Mitfreude, man freut sich über Dinge, die mit einem persönlich gar nichts zu tun haben, einfach so, weil man es für gut hält. Und schließlich ist man im Gleichgewicht, man weiß, dass alle Leute im Endeffekt die Buddhanatur besitzen, egal wie versteckt dieses klare Licht ist.
Man hat vier Ebenen, die gute Liebe, die gebende Liebe, die reiche Liebe, wenn man gibt und mitfühlend ist, und die schlechte Liebe, die nicht im Hier und Jetzt stattfindet, sondern im Morgen und Gestern, die nicht freisetzen will, sondern begrenzen und einengen. So eine Liebe freut sich nicht, wenn der Partner etwas lernt und sich entwickelt, sondern denkt nur, jetzt wird er oder sie klüger als ich und läuft mir davon. Diese eifersüchtige, enge, neidvolle und erwartende Liebe sollte man wirklich wegwerfen, sobald man die ersten Anflüge davon erlebt. Einengende Kontrolle ist für niemanden gut. Man soll den Leuten Freiheit geben und sie gehen lassen. Wenn sie zurück kommen, dann gehören sie zu einem, wenn sie weggehen, dann werden sie anderswo glücklicher. Alles, was anhaftet, erwartet und klebt, ist nicht gut, alles, was frei ist, ist gut.